Eine Nation an der Steckdose
Lesezeit ca.: 4 MinutenEin Land ohne Autohersteller macht es vor: In Norwegen haben Elektrofahrzeuge den weltweit höchsten Marktanteil. Flächendeckende Ladesäulen und staatliche Anreize beflügeln den Siegeszug der Elektromobilität. Ein Vorbild für Deutschland?
12. März 2019Während allerorts über Elektromobilität geredet, fährt in Norwegen inzwischen jeder zweite Neuwagen ganz oder teilweise mit Strom. Nirgendwo in Europa gibt es mehr Elektroautos als in dem skandinavischen Land mit gerade mal 5,1 Millionen Einwohnern. Mit den Plug-in-Hybriden besteht die Elektroflotte aus fast 300.000 Autos. Damit rangiert das kleine Norwegen hinter China und den USA als wichtigster Absatzmarkt auf Rang drei. Und in Deutschland? Nach Angaben des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) wurden 2018 insgesamt 67.500 Elektroautos zugelassen, davon 31.400 Plug-in-Hybride. Insgesamt liegt der Marktanteil für elektrisch betriebene Fahrzeuge damit gerade mal zwei Prozent. Wie hat es also Norwegen geschafft, die Elektromobilität soweit voranzubringen? Das Land hat sich hohe politische Ziele gesteckt: Ab dem Jahr 2025 sollen nur noch emissionsfreie Autos verkauft werden.
Staatliche Anreize für Elektromobilität
Schon seit dem Jahr 1989 fördert die Politik die E-Mobilität in Norwegen mit weitreichenden Förderprogrammen. Das hat im Land der Wikinger zur Folge, dass hochpreisige Modelle der US-amerikanischen Herstellers Tesla S genauso begehrt sind wie ein VW Golf. Der Grund: Bei der Zulassung eines Autos mit Diesel- oder Ottomotor fällt in der Regel eine Steuer an, die auf Motorleistung und Emissionen basiert und bis zu 20.000 Euro betragen kann. Diese entfällt bei rein elektrisch-betriebenen Autos und Plug-in-Hybriden gänzlich. Zudem muss keine Kfz-Steuer entrichtet werden, auch die Mehrwertsteuer, die immerhin 25 Prozent beträgt, entfällt. Auch Firmenwagen und Leasingnehmer kommen in den Genuss von Steuerreduzierungen. Und bis vor kurzem mussten Elektrofahrzeuge mit dem „EL“-Kennzeichen keine Mautgebühren zahlen und konnten kostenlos parken. Da es Norwegen schnell passiert, dass die breite und gut ausgebaute Straße auf einmal an einem kleinen Fährhafen endet, waren für Elektroautos außerdem bestimmte Fährstrecken gebührenfrei. Mittlerweile gelten solche Abgaben auch für Fahrer alternativer Antriebe, aber nur bis zur Hälfte des normalen Preises.
Vorfahrt für E-Autos
Auch im alltäglichen Straßenverkehr haben Elektroautos in Norwegen Vorfahrt. In den Städten dürfen Fahrer die Bus- und Taxispuren benutzen, selbst in der Rushhour. Darüber hinaus steht eine massive ausgebaute Infrastruktur zur Verfügung. So gibt es heute landesweit über 10.000 öffentliche Ladesäulen. Auf den meisten Hauptverkehrsstraßen finden sich heute alle 50 Kilometer Schnellladesäulen. Norwegen hat extra eine eigene staatliche Firma gegründet, die den Ausbau kontinuierlich vorantreibt. Und das Beste dabei: Der Strom ist gratis. Das reiche Norwegen ist schließlich energetisch in einer perfekten Lage. 98 Prozent des Stroms stammt aus erneuerbaren Energien, vor allem aus Wasserkraft. Die E-Autos fahren also praktisch CO2-neutral. Doch der Nachfrageboom hat auch Schattenseiten. Die Autobauer kommen nicht mit der Produktion nach. Die Norweger müssen lange Wartzeiten in Kauf nehmen, und die steigt zunehmend auch an den Ladestationen. So wurde zuletzt in Oslo kurzerhand entschieden, dass das Laden von Elektroautos auf kommunalen Parkplätzen aufgrund der hohen Fahrzeugdichte künftig nicht mehr kostenlos ist.
Vorbild für Deutschland?
Könnte sich Deutschland ein paar dieser Maßnahmen abschauen, um die Elektromobilität auch hierzulande voranzubringen? 2015 wurde das Elektromobilitätsgesetz EmoG verabschiedet, das Elektrofahrzeugen Sonderrechte einräumt, beispielsweise reservierte Parkplätze zum Tanken, Fahrten auf Busspuren, Teilbefreiung von Parkgebühren oder die Ausnahme von Zufahrtsbeschränkungen. Letztendlich liegt die Entscheidung für jede dieser Maßnahme jedoch bei den Städten und Kommunen. Und so sind die Regelungen von Ort zu Ort unterschiedlich. Seit Mitte 2016 können private und gewerbliche Käufer von neuen Elektrofahrzeugen beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zudem einen Antrag auf Erhalt einer Kaufprämie stellen. Diese beträgt 4.000 Euro für reine Elektroautos und 3.000 Euro für Plug-In Hybride. Ein großes Manko bleibt in Deutschland aber die Ladeinfrastruktur entlang der Autobahnen und in Ballungsgebieten.
Neue Technologien für die Infrastruktur
Das Start-up Ubitricity hat für Straßenlaternen eine Steckdose entwickelt, die relativ einfach in eine bestehende Laterne eingebaut werden kann. Kostenpunkt rund 1.000 Euro. Eine herkömmliche E-Ladesäule dagegen kostet im Schnitt bis zu 15.000 Euro. In Berlin sollen jetzt 1.000 Ladestellen an Laternenpfählen in zwei Außenbezirke entstehen. Aber was würde passieren, wenn abends Millionen von Elektro- und Hybridautos gleichzeitig an die Ladesäule gestöpselt werden? Das Stromnetz könnte ins Wanken geraten, wie Wissenschaftler der Technischen Universität München jüngst mit Zukunftsszenarien in der Studie „Blackout – E-Mobilität setzt Netzbetreiber unter Druck“ warnten. Im schlimmsten Fall gäbe es Stromausfälle. Was die Forscher nicht erwähnten: Ein ungeahntes Speicherreservoir liegt förmlich auf der Straße: Die Elektroautos selbst mit ihren Batterien. In Parkposition können sie zu einem virtuellen Kraftwerk verbunden werden. Schließlich wird ein Privatauto durchschnittlich rund 22 bis 23 Stunden am Tag nicht genutzt. Vehicle-to-Grid – kurz V2G – nennt sich das Prinzip: Anders als bei normalen Ladestationen geben dabei Autos gespeicherte Energie auch an das lokale Netz zurück oder aber sie beliefern direkt das Eigenheim. Theoretisch könnte der Akku eines E-SUV der neuesten Generation einen Haushalt bis zu zehn Tage mit Strom versorgen.