Lichtkonzepte für den Innenraum
Lesezeit ca.: 5 MinutenAmbiente-Lichter, Ansätze wie das Human Centric Lighting oder Lösungen für autonomes Fahren – innovative Lichtkonzepte für das Fahrzeuginterieur stehen im Fokus der Zuliefererbranche.
18. Juni 2019Unabhängig ob als Elektroauto, autonom oder teil-autonom gesteuert, Fahrzeuge entwickeln sich immer mehr zu einem persönlichen Lebens- und Arbeitsraum, ja zu regelrechten Komfortburgen, die unseren steigenden Bedürfnissen nach Rückzug, Individualisierung und Entertainment entsprechen. Und so wird das Interieur gegenwärtig neu definiert, die Innovationszyklen sind rasant. Diverse Kooperationen und Zukäufen unter Automobilzulieferern sowie neue Player aus anderen Industriefeldern haben in den vergangenen Jahren für viel Bewegung gesorgt. Die zunehmende Bedeutung weckt nach einer Untersuchung der M&A-Beratung Capitalmind sogar das Interesse von Finanz- und strategischen Investoren. Bis 2020 soll das globale Marktvolumen für Interieuranwendungen auf über 120 Milliarden US-Dollar steigen. Neben einer immer umfangreicheren Enter- und Infotainment-Ausstattung legen die Kunden vor allem bei der Innenraumbeleuchtung Wert auf eine persönliche Note.
Nicht mehr reine Dekoration
Während man in den Autos der 1970er-Jahre bei Dunkelheit mit den Fingern nach Hebel und Schalter am Armaturenbrett suchte, ist das Cockpit von heute mit seinen Instrumenten und Displays umfassend illuminiert. Doch Innenbeleuchtung ist mehr als nur die Hintergrundbeleuchtung der Anzeigen. In vielen Fahrzeugen, vor allem in der Oberklasse, gehören indirekt beleuchtete Elemente wie Schalter, Griffe oder Konturlinien in den Türen und Armaturenbrett zur Grundausstattung. Wo das nicht der Fall ist, kann man es als Option in Form von Licht- beziehungsweise „Ambiente“-Paketen dazu bestellen. Der davon ausgehende Lichteffekt hat auf dem ersten Blick eher einen ästhetischen Mehrwert, bei Dämmerung, Nachtfahrten oder längeren Tunneln allerdings helfen sie Fahrer und Insassen, den Innenraum besser wahrzunehmen und sich zu orientieren.
In der Regel kommen LEDs auf Basis von Niedervoltsystemen zum Einsatz, die energieeffizient und langlebig sind, was sie insbesondere für Elektrofahrzeuge zum Standard macht. Was aber interessanter ist: Mit dem Wegfall des klassischen Glaskolbens bisheriger Glüh- oder Energiesparlampen sind bei diesem Licht auf Halbleiter-Basis praktisch beliebige Bauformen möglich, was Designer zu immer neuen Ideen inspiriert. In manchen Premiummodellen sorgen hunderte LEDs im Dachhimmel je nach Tageszeit und Stimmung für besondere Behaglichkeit. Für dynamische und mehr farbliche Effekte kann die neueste LED-Generation nicht nur weiße Farbe erzeugen, sondern den RGB-Farbraum abbilden und damit beliebige Mischfarben erzeugen. Zugleich steigt die Anzahl der LEDs im Auto immer weiter. In den aktuellen Modellen Ghost, Phantom und Wraith von Rolls Royce sind allein für den Dachhimmel über 1.300 LED-Lichtleiter verbaut. Für eine gleichbleibende Helligkeit und Farbtreue ist jedoch eine Hochgeschwindigkeitsvernetzung der Lichtpunkte über einen integrierten Controller-Chip notwendig. Mittlerweile gibt es schon diverse Entwicklungsprojekte in der Automobilindustrie auf Basis der sogenannten ISELED-Technik.
Transluzente Materialien
Der Trend zum Autonomen Fahren wird den Bedarf nach mehr Funktionen und ausgereifter Hardware noch weiter beschleunigen. Yanfeng Automotive Interiors, ein führender Anbieter automobiler Innenausstattung aus China, hat Anfang 2019 das Konzeptfahrzeug „XiM20 “ vorgestellt. Die Studie zeigt, wie Menschen den Fahrzeuginnenraum erleben, wenn sie zukünftig nicht mehr selber fahren müssen. Das Konzept bietet Passagieren ein adaptives Interieur mit unterschiedlichen Modi zur Auswahl. Auf dem Weg zum vollautomatisierten Fahren kann die Innenraumbeleuchtung auch zusätzliche Sicherheitsfunktionen übernehmen. Bei einer gefährlichen Verkehrssituation oder eintretender Müdigkeit könnten die Farben der Oberflächen im Innenraum wechseln. Das erhöht neben den Standardwarnsignalen und Displayinformationen die Aufmerksamkeit des Fahrers. Dabei treten transluzente Oberflächen anstelle von hinterleuchteten opaken Flächen aus Leder, Stoff, Aluminium oder Holz. Zulieferer Continental hat Materialien für Dekoroberflächen soweit entwickelt, dass integrierte Lichtquellen sich je nach individuellem Befinden oder der Fahrsituation verändern.
Connected Light
Der Zulieferer aus Hannover sieht in solchen Stoffen den Schlüssel für die weitere Funktionalisierung und Individualisierung von Licht. So könnte der Innenraum zum Beispiel in Signalfarbe aufleuchten, falls Hindernisse oder andere Verkehrsteilnehmer zu nahekommen, und den Fahrer auf diese Weise auf die potenzielle Gefahr hinweisen. Wird im Crashfall das Airbag ausgelöst, würde das Licht automatisch auf die höchste Helligkeitsstufe wechseln, damit die Passagiere schnellstmöglich den Wagen verlassen können. Und schließlich sorgt die digitale Vernetzung von Fahrer und Fahrzeug für neue Feature: Sensoren erkennen, dass sich die Person dem Gefährt nähert und ein individuelles Lichtdesign oder eine Projektion erscheint zur Begrüßung. Alternativ wählt der Nutzer per Smartphones ein Beleuchtungsmodus für den Innenraum aus. So könnten sogar beim Carsharing Lichtkonzepte in Zukunft für mehr Individualität sorgen: Bevor der Fahrer in das Fahrzeug einsteigt, werden sein Profil und seine Präferenzen vom cloudbasierten Buchungssystem erfasst und dem Wagen automatisch mitgeteilt.
Support für den Biorhythmus
Auch für Nutzfahrzeuge bieten moderne Lichtkonzepte neue Perspektiven. Fernfahrer müssen beispielsweise aufgrund monotoner und langer Wegstrecken stets hellwachsein. Der Daimler-Konzern forscht daher mit einer ganzen Abteilung an unterschiedlichen Ansätzen für das Führerhaus der Zukunft. Ob verbesserter Schallschutz, eine Belüftungsanlage mit entspannenden Düften, ein integrierter Seilzug oder ein Monitor, auf dem Fitnessübungen für die Fahrerkabine abgespielt werden – viele Erfindungen sind bereits in die Produktion vergangener und aktueller Actros-Modelle eingeflossen. Dabei geht es auch um Lichtkonzepte. Biologisch wirksames Licht, das sogenannte Human Centric Lighting, kurz HCL, kann unseren Biorhythmus unterstützen, sodass wir besser entspannen können oder konzentrierter sind. Mit angepassten Lichteinflüssen lässt sich die innere Uhr gezielt beeinflussen – je nachdem, was gerade gefragt ist. Das „Daylight+“-Modul sorgt während der Fahrt und in den Pausen mit seiner Tageslichtapplikation für zusätzliches Tageslicht in der Kabine. Dadurch soll sich das subjektive Befinden der Lkw-Fahrer verbessern. Und die sogenannte Lichtdusche, angebracht im Dachhimmel, soll auf Knopfdruck nach langer Strecke wieder munter machen, indem es spezielle Rezeptorzellen im Auge aktiviert. So wird Licht allmählich zum Tausendsassa, das nicht nur das Wohlbefinden erhöht, sondern den Fahrer zugleich auch gesund hält